Ehemalige
NVA-Schiffe werden in Indonesien vertragswidrig
zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt
von Ulrich Delius (Gesellschaft für bedrohte
Völker) -- 09. Mai 2003
Umstritten
war der Verkauf der 39 ehemaligen Landungsschiffe
und Jagdkorvetten der Nationalen Volksarmee (NVA)
von Beginn an in Deutschland und Indonesien. In
Deutschland protestierten Menschenrechtler und
Rüstungsexportgegner 1993 gegen die
bevorstehende Lieferung der Kriegsschiffe in ein
Krisengebiet. Die Gesellschaft für bedrohte
Völker und terre des hommes, die Buko-Kampagne
gegen Rüstungsexporte, Watch Indonesia und das
Neue Forum Berlin warnten nachdrücklich vor
einem möglichen Einsatz der Schiffe im
Osttimor-Konflikt. Mit einer Besetzung der
NVA-Schiffe in Peenemünde protestierten
Dresdener Rüstungsgegner gegen den umstrittenen
Handel. Aufgrund ihrer besonderen Verantwortung
für Osttimor protestierte auch die ehemalige
Kolonialmacht Portugal am 22. Februar 1993 bei
der deutschen Regierung gegen die Lieferung der
Schiffe (FAZ, 23.2.93). Nachdrücklich kritisiert
wurde auch die Lieferung von 5.000 Schuss
Munition sowie die Ausbildung von indonesischen
Marinesoldaten auf den ehemaligen NVA-Schiffen.
Besonders
massive Kritik wurde an der Finanzierung des
Handels durch staatlich abgesicherte
Hermes-Bürgschaften geäußert. So übernahm die
Bundesregierung Bürgschaften für Darlehen der
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Wert von
561 Millionen DM (425 Millionen DM für Reparatur
und Modernisierung der Schiffe / 136 Millionen DM
für die Ausstattung mit Siemens
Fernmeldeausrüstung in digitaler Technik)
(Frankfurter Rundschau, 16.12.94).
Kritik in
Indonesien
Zwar
schwieg sich Bonn lange über den Kaufpreis aus,
doch rund 28 Millionen DM wurden mehrfach als
Kaufpreis genannt (Der Spiegel, 27.9.93 /
Blätter des IZ3W, März 1994, S. 28). Doch schon
bald wurde deutlich, dass eine Inbetriebnahme der
Schiffe den Einsatz weiterer Millionen-Summen
erfordern würde, da viele der Einheiten veraltet
und zum Teil schrottreif waren. Als der
gigantische Umfang der erforderlichen
Investitionen sichtbar wurde, brach in Indonesien
Streit über den Kauf der NVA-Schiffe aus.
Genährt wurde der Streit noch von immer neuen
Hiobsbotschaften über den katastrophalen Zustand
der Schiffe.
So wäre
die Teluk Lampung (ex Schwedt) auf ihrer
Überführungsfahrt am 2. Juni 1994 beinahe in
der Biskaya gesunken, nachdem hoher Wellengang
die Bugklappe abgerissen hatte, das Schiff
manövrierunfähig wurde und Teile der Besatzung
evakuiert werden mussten.
Eingefädelt
wurde der Verkauf von dem damaligen Forschungs-
und Technologieminister und späteren
Staatspräsidenten Baharuddin Habibie, einem
ausgezeichneten Kenner der deutschen
Rüstungswirtschaft. Habibie hatte nach seinem
Studium an der Technischen Hochschule Aachen
systematisch den Ausbau einer indonesischen
Rüstungsindustrie betrieben und kontrollierte am
Ende der Herrschaft des Diktators Suharto zehn
verstaatlichte Konzerne. Kritisiert wurde in
Indonesien vor allem der zu hohe Kaufpreis sowie
die enormen Folgekosten (Reparatur,
Modernisierung, neue Flottenstützpunkte etc.).
Anfangs forderte Habibie für das
Modernisierungsprogramm der Marine 2,2 Milliarden
DM, nach massiver Kritik des
Verteidigungsministers reduzierte er seine
Forderungen auf 964 Millionen DM. Sogar die
Weltbank kritisierte, dass für den Rüstungskauf
Entwicklungshilfegelder Indonesiens eingesetzt
und zugleich die Sozialausgaben gekürzt wurden
(Far Eastern Economic Review, 23.9.93).
Angesichts
der massiven Kritik der öffentlichen Meinung
stellte sich Diktator Suharto schützend vor
seinen Minister Habibie und präsentierte den
Kauf der NVA-Schiffe als seine gemeinsame
Initiative mit dem deutschen Bundeskanzler Helmut
Kohl. Kritische Medien machte der Diktator
mundtot. So wurden im Juni 1994 zwei
Wochenzeitungen und eine Tageszeitung auf
Anordnung Suhartos geschlossen. Die Zeitung Tempo
hatte zuvor über wachsende Kritik im Militär an
dem Kauf der veralteten Schiffe berichtet. Als
Demonstranten am 28.Juni 1994 gegen die
Schließung der Zeitungen protestierten, ging die
Polizei mit Gewalt gegen die Demonstranten vor
und nahm mehr als 30 Personen fest. So hatte der
umstrittene Kauf der ehemaligen NVA-Schiffe auch
innenpolitische Folgen in Indonesien und führte
zu einer weiteren Einschränkung der Presse- und
Demonstrationsfreiheit.
In
Deutschland hatte der umstrittene Deal auch ein
parlamentarisches Nachspiel. Einige wenige
Details der vertraglichen Vereinbarungen mit
Indonesien veröffentlichte die deutsche
Bundesregierung in ihrer Antwort vom 28.12.1993
auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion
(Drucksache 12/6512). Demzufolge hatte sich
Indonesien vertraglich verpflichtet, die 39
Schiffe nur für den Küstenschutz, die
Seewegsicherung sowie die Bekämpfung der
Piraterie und des Schmuggels einzusetzen. Doch
diese Auflage scheint Indonesien niemals ernst
genommen zu haben. Auch die indonesische Presse
ging auf diese Auflagen niemals ein und wertete
den Kauf als wichtigen Beitrag zum Aufbau einer
schlagkräftigen Marine.
Indonesischer
General plant Einsatz zur
"Aufstandsbekämpfung"
Neue
Nahrung erhielt der Streit, als die GfbV zum 20.
Jahrestag des Völkermordes in Osttimor im
Dezember 1995 auf ein bemerkenswertes Interview
des Oberbefehlshabers der indonesischen
Streitkräfte, General Feisal Tanjung, aufmerksam
machte, dass die in Asien führende
wehrtechnische Zeitschrift Asian Defence Journal
im Oktober 1995 veröffentlicht hatte. Darin
erklärte der General: "Tatsächlich sieht
der Plan vor, die Stärke der
"Bataillon-Landungskräfte" (Batallion
Landing Team, BLT) zu erhöhen, in dem die
bestehenden zwei BLTs konsolidiert und eine
neue BLT-Reserveeinheit aufgestellt wird. Mit der
Bildung schlagkräftiger BLTs wird
beabsichtigt, Störungen von innen zu
überwinden. Mit dem kürzlichen Kauf von ehemals
ostdeutschen Landungsschiffen sollen veraltete
Landungseinheiten ersetzt werden...". Im
Klartext bedeutete dies, dass die Landungsboote
entgegen den vertraglichen Auflagen einem
Bataillon zur Aufstandsbekämpfung zugeteilt
wurden. Auf unsere am 6. Dezember 1995 an
Verteidigungsminister Volker Rühe gerichtete
Bitte nach Klarstellung teilte uns Brigadegeneral
Röhrs in einem vom 9.Februar 1996 datierten
Schreiben mit: "Im übrigen besteht eine
Kontrolle über Verbleib und Verwendung der Ware
durch Erkenntnisse der Auslandsvertretungen, der
Fachdienste und ihrer Partner, der Medien oder
von Nichtregierungsorganisationen. Derartige
Erkenntnisse werden bei Entscheidungen der
Bundesregierung über Rüstungsexporte mit
zugrunde gelegt. Der Bundesregierung liegen zur
Zeit jedoch keine Erkenntnisse über einen
vertragswidrigen Einsatz der ehemaligen
NVA-Schiffe vor. Auf Anfrage unter Bezug auf das
Interview hat die indonesische Seite
klargestellt, dass sie uneingeschränkt zu den
Vertragsverpflichtungen, auch hinsichtlich der
Einsatzbeschränkungen, steht."
Vertragswidrige
Einsätze der Schiffe
Im Sommer
1999 wurden während der Massaker der von der
indonesischen Armee unterstützten Milizen in
Osttimor ehemalige NVA-Landungsschiffe vor
Osttimor eingesetzt.
Im Januar
2000 waren die früheren NVA-Schiffe (371 Kapitan
Patimura, ex Prenzlau, Jadkorvette / 382 Hasan
Basri, ex Güstrow, Jagdkorvette / 544 Teluk
Saban, ex Südpferd, Landungsschiff / 535 Teluk
Peleng, ex Lübben, Landungsschiff) an einer
Seeblockade der Molukken beteiligt. (Jakarta
Post, 7.1.2000) Die Kriegsschiffe sollten den
Nachschub mit Waffen und Kämpfern in der Region
unterbinden. Tatsächlich arbeiteten Teile der
indonesischen Armee jedoch eng mit muslimischen
Extremisten zusammen und ermöglichten mit ihrer
Blockade, dass ohne lästige Augenzeugen mehrere
Hunderttausend Menschen aus ihren Dörfern
vertrieben wurden. Auch transportierten die
Schiffe indonesische Soldaten auf die Molukken,
die oft zugunsten von Muslimen Partei ergriffen
und bedrängten Christen keinen Schutz vor
Übergriffen muslimischer Extremisten leisteten.
Erneut appellierten wir am 7. Januar 2000
erfolglos an die Bundesregierung, gegenüber
Indonesien darauf zu dringen, dass die Schiffe
nicht vertragswidrig eingesetzt werden. Doch
Berlin antwortete nicht auf unseren Appell.
Am 16.
März 2000 informierten wir das Auswärtige Amt
darüber, dass die "Teluk Lampung" (das
ehemalige Landungsschiff "Schwedt")
zwei Tage zuvor Soldaten des Kostrad
Infanterie-Bataillons 515 sowie der Elite-Einheit
Kopassus in die umkämpfte Provinz Papua (Irian
Jaya, das Schiff landete in den Häfen Sorong und
Jayapura) und auf die vorgelagerte Insel Biak
transportiert hatte. Das gleiche Schiff hatte
bereits im Juli 1998 Truppen auf die Insel
gebracht, die am 6. Juli 1998 bei der blutigen
Niederschlagung einer Demonstration unbewaffneter
Bürger mindestens acht Papua-Ureinwohner
töteten und 37 Personen verletzten, berichtete
uns Elsham, die angesehenste
Menschenrechtsorganisation Papuas. Nur
telefonisch reagierte das Auswärtige Amt auf
unsere Information und erklärte, es handele sich
um eine "Delikatesse" und man befinde
sich in einem Dilemma. Unsere nochmalige
schriftliche Bitte vom 7.4.2000, auf einer
vertragsgemäßen Verwendung der Schiffe zu
bestehen, blieb unbeantwortet. Am 9.11.2000
appellierten wir erneut angesichts zunehmender
Menschenrechtsverletzungen in Papua an
Außenminister Fischer, keinen Missbrauch der
ehemaligen NVA-Schiffe zu dulden.
Als Ostern
2003 bekannt wurde, dass die deutsche
Bundesregierung in aller Stille die Lieferung
neuer Motoren für die ehemaligen NVA-Schiffe
genehmigt hatte und Kredite in zweistelliger
Millionenhöhe für die Modernisierung mit
Hermes-Bürgschaften abgesichert habe,
protestierten wir beim zuständigen
Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (Stuttgarter
Zeitung, 17. 04. 2003 / Hannoversche Allgemeine
Zeitung, 19. 04. 2003).
Momentan
wird die Unruheprovinz Aceh von der Marine
abgeriegelt. Mehr als 10.000 Menschen
starben seit 1976 in der er4dölreichen Provinz
bei Kämpfen zwischen der indonesischen Armee und
der Freiheitsbewegung Free Aceh Movement (GAM)
sowie bei Menschenrechtsverletzungen von
Soldaten und Bereitschaftspolizisten. Nach einer
erneuten Zunahme politisch motivierter Gewalt
droht ein endgültiger Bruch des am 9.
Dezember 2002 unterzeichneten
Waffenstillstandsvertrages zwischen der
indonesischen Armee und GAM. Sowohl teile der
Armee als auch der GAM lehnen einen Frieden ab
und versprechen sich von der Wiederaufnahme der
Kämpfe eine Sicherung ihrer Machtstellung und
lukrativer illegaler Nebeneinkünfte.
Angesichts
der Vielzahl von Konflikten in Indonesien, werden
unterschiedslos alle Schiffe der indonesischen
Marine mit dem Transport von Soldaten und der
Abriegelung von Unruheprovinzen betraut. Es ist
realitätsfern, wenn die deutsche Bundesregierung
davon ausgeht, dass die indonesische Marine
Rücksicht auf den vertraglich zugesicherten
Verwendungszweck der ehemaligen NVA-Schiffe
nehmen würde. In der letzten April-Woche im Jahr
2003 transportierte die "Teluk Jakarta"
(ex "Eisenhüttenstadt") 400 Soldaten
und Marine-Angehörige in einer so genannten
"humanitären Mission" zum Hafen Krueng
Guekueh in Nord-Aceh (Jakarta Post, 04.05.2003).
Offiziell sollen die Soldaten Häuser, Moscheen
und Brücken reparieren. Angesichts der
Zuspitzung der Sicherheitsalge in Aceh und des
unmittelbar bevorstehenden Wiederausbruchs der
Kämpfe sehen viele internationale Beobachter in
der "humanitären Aktion" eine
verdeckte Militäroperation, um die Präsenz der
Armee in Aceh zu verstärken. In jedem Fall
werden diese Soldaten nach einem Ende des
Waffenstillstands als kämpfende Truppe
eingesetzt werden und nicht mit humanitären
Aufgaben betraut werden.
Weitere
6.350 Soldaten verließen an Bord von zehn
Schiffen der indonesischen Marine am 8. Mai 2003
die Marine Basis Ujung in der Nähe der
Stadt Surabaya. Die Schiffe sollen am 13.
Mai in Aceh eintreffen (Jakarta Post,
08.05.2003).
Frühere
NVA-Schiffe werden regelmäßig und gezielt zur
"Aufstandsbekämpfung" eingesetzt.
Diese Aufstände werden von Teilen der
indonesischen Armee systematisch geschürt, um
eine weitere Demokratisierung Indonesiens zu
verhindern. Angesichts stetig zunehmender
Menschenrechtsverletzungen in Papua und Aceh,
andauernder Vertreibungsverbrechen auf den
Molukken sowie eines in ganz Indonesien
weit verbreiteten Klimas der Willkür und
Straflosigkeit der Sicherheitskräfte ist mit
weiteren Einsätzen der ehemaligen NVA-Schiffe im
Rahmen der "Aufstandsbekämpfung" zu
rechnen. Daher ist jede Vergabe neuer
Bürgschaften und Kredite für die Modernisierung
dieser Schiffe rechtlich äußerst fragwürdig
und moralisch unvertretbar.
Mit der
Versenkung von vier des illegalen Fischfangs
verdächtigten philippinischen Fischerbooten am
29.Januar 2003 hat die "Untung
Suropati" (die ehemalige Jagdkorvette
"Ribnitz") erst kürzlich für
diplomatischen Ärger gesorgt. Vehement
protestierte die philippinische Regierung gegen
die seltsame Art der Sicherung der indonesischen
Gewässer. "Unsere Fischer stellen weder
eine Gefahr für Indonesien dar, noch sind sie am
Schmuggel beteiligt oder an anderen illegalen
Aktivitäten," erklärte das
Außenministerium der Philippinen. (AFP,
31.1.2003) "Wir haben auch ähnliche
Situationen in der Vergangenheit gehabt, ohne
dass tödliche Gewalt eingesetzt wurde."
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