März 2001
Zum 45. Geburtstag
einer deutschen Armee, die keinen Krieg führte
Es ist
still geworden um den 1. März!
Wie immer bin ich viel zu früh auf den Beinen.
Den Wecker hatte ich nicht gebraucht.
Trotz vieler Jahre der Routine im Beruf bin ich
wie immer aufgeregt. Die Uniform hängt
geschniegelt und gebügelt an der Garderobe. Die
"Orden lang" sind akkurat angesteckt.
Auch meine Frau hat wie immer fürsorglich ihren
Beitrag zum Gelingen des Ehrentages geleistet.
Was für mich besonders wichtig ist, Stiefelhose
und Paradejacke passen noch. Die Feldbinde, mit
anderen Worten, das Feiertagskoppel, hat auch
noch Reserven. Gott sei Dank, das Gewicht konnte
ich halten.
Es kann losgehen!
Tage des nicht enden wollenden Exerzierens, der
BA-Kontrolle (Bekleidung und Ausrüstung) und des
Waffenreinigens liegen hinter den Einheiten.
Obwohl es unser Ehrentag ist, war die
Vorbereitung eine wahrlich ungeliebte Prozedur
für alle Beteiligten vom Soldat bis zum
Offizier.
Es folgten Belobigungen, Auszeichnungen und
Beförderungen und der Vorbeimarsch an der
Obrigkeit. Danach gemütliches Beisammensein,
Tanz, aber auch Besäufnisse. Gründe dafür
hatten wir ja an diesem Tag genug.
Eines möchte ich hier noch erwähnen, immer war
unter den Ehrengästen auf der Tribüne eine
Delegation unserer sowjetischen Waffenbrüder. Am
1. März 1990 fehlten sie, dafür befand sich
unter der stark gelichteten Gästeschar Herr
Frahm, unser Pastor.
Das war nicht nur sehr ungewohnt, gelinde gesagt,
mir war sehr unwohl. Nicht wegen Herrn Pastor
Frahm, welcher als Vertreter der evangelischen
Kirche zu uns herabschaute. Nein, er verkörperte
unmissver-ständlich das Ende, Verzeihung, die
Wende!
Wir, und ich meine nicht nur die Berufssoldaten
der NVA, wurden über Nacht von Soldaten des
Volkes und Verteidigern des Friedens, geehrten
Staatsbürgern also, zu Stützen einer Diktatur,
ja zu Straftätern. Bis heute, mit all seinen uns
bekannten Folgen.
Im Zuge der Bundeswehrreform setzt man in Eggesin
(Landrat Wack CDU) die "Armee der
Einheit" aufs Spiel. In Stavenhagen wird
gegen die Standortschließung demonstriert. Die
Sorgen hatten viele tausende NVA-Angehörige
1990. Ohne kämpferischen Landrat in der
Hinterhand und ohne Mittwochsdemo.
Ich habe über 26 Jahre die Uniform aus
Überzeugung getragen und sage es, ohne rot
werden zu müssen. Mit wenig Privilegien aber mit
viel Entbehrungen. Dafür habe ich Zeugen. Meine
Familie, meine Frau und meine Kinder.
Sicher lag das unter anderem daran, dass ich an
der Offiziersschule Ernst Thälmann"
in Zittau studierte und nicht in der
"Rommel"-Kaserne diente.
Mein Entschluss, Berufsoffizier zu werden,
beruhte im Wesentlichen auf simplen
Grundüberzeugungen, die aber gerade in der
Gegenwart von hoher Aktualität sind. Dazu
gehört zum Beispiel:
Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg
ausgehen. Eine Maxime, die nicht nur bei den
Angehörigen der NVA volle Akzeptanz fand. Sie
war international anerkannte Politik der DDR und
ihrer Streitkräfte. Dem fühlte ich mich
verpflichtet. Dafür nahmen wir alle
Anstrengungen und Entbehrungen auf uns.
Mit blankem Entsetzen verfolge ich die
Militärpolitik der Bundesregierung. Sie setzt
die Bundeswehr, eingebettet in das
Militärbündnis der NATO, ohne
Verfassungsauftrag zum Töten in fremden Ländern
ein. Haben wir als Deutsche nicht schon genug
Schuld auf uns geladen? Argumente für den
Einsatz lieferten keine geringeren als Herr
Scharping und Herr Fischer. Wie wir jetzt wissen:
Es waren Lügen und Gräuelmärchen übelster
Art. Die Rot-Grüne Regierung tötete erst die
Wahrheit und dann starben unschuldige Menschen.
Außer von der PDS kein Protest im
Bundestag, kein Aufschrei in Deutschland. Armes
Deutschland!! Es kommt noch schlimmer. Herr
Scharping will auch in Zukunft an der nuklearen
Teilhabe innerhalb der NATO festhalten. Das
heißt im Klartext: Auch künftig Atombomben für
deutsche Tornados, möglichst in aller Welt.
Wir hatten einen klaren Klassenauftrag. Wenn der
Begriff heute auch verpönt ist, ich stand
vorbehaltlos zu ihm und hatte nie Zweifel an der
Rechtmäßigkeit meines Tuns. Welchen Auftrag
erfüllt die Bundeswehr, für welche Interessen
wird sie eingesetzt?
Auf meine Fahne hatte ich, ohne wenn und aber und
nicht verordnet, den Antifaschismus gesetzt. Er
manifestierte sich im gesamten gesellschaftlichen
Leben unseres Staates. Man könnte unzählige
Argumente und Beispiele auch aus dem Alltag der
Soldaten der NVA bringen. Unser erster Präsident
war Wilhelm Pieck. In der BRD hatte man u. a.
Herrn Globke und Herrn Filbinger.
Unsere Straßen, Plätze und Kasernen trugen
Namen von Antifaschisten. Die Kaserne in Sanitz,
in welcher ich gedient habe, gibt es noch. Ihr
Name, Erich Weinert, wurde schnell getilgt.
Vor wenigen Tagen sprach ich einen Jugendlichen
an, welcher das "Eiserne Kreuz"
umgehängt trug. Lapidarer Kommentar:
"Schauen Sie genau hin. Das Hakenkreuz ist
raus". Das sehen sie doch überall, das ist
nicht verboten. Unbewältigte deutsche
Vergangenheit. Was sich heute auf deutschen
Straßen abspielt, auch in den Kasernen der
Bundeswehr, ist für mich unvorstellbar. Und die
Straftaten mit rechtem Hintergrund steigen. Die
Haltung der Gesellschaft heute zu dem Problem,
will ich gar nicht kommentieren. Es macht mich
wütend und traurig zugleich. dafür habe ich
nicht gedient!
Einige wenige Worte noch zum Abschluss des
Beitrages. Die Rüstung der NVA und ihr Unterhalt
war eine riesige Belastung für die
Volkswirtschaft. Auch daran sind wir letztlich
gescheitert. Und heute? Auch der Haushalt der BRD
wird enorm belastet. Wir leisten uns den
Eurofighter, ob wir ihn brauchen oder nicht.
Aber, traurig, traurig, er sichert ja
Arbeitsplätze und vor allem Profit. Armeen und
Rüstung gefährden immer den Frieden, bedrohen
die Völker.
In dieser Welt, so wie sie existiert, sind
Rüstung und Streitkräfte in erster Linie Quelle
von Maximalprofit. Als Folge werden sie ein
unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor. aber es muss
ja nicht so bleiben.
Vieles liegt mir noch am Herzen, was ich
ansprechen möchte. Ich bin kein Politprofi. Auch
habe ich mich nicht in
Gesellschaftswissenschaften versucht. Es sind
meine Gedanken zum 1. März, dem Tag der
untergegangenen NVA. Wir sollten nicht alles
vergessen, aber wir sollten immer vergleichen.
Schließen möchte ich mit einem Zitat von Hanns
Cibulka, welches sinngemäß auch auf die NVA
zutrifft.
"Die Ironie der Wende: Die Ostdeutschen
haben sich einer Gesellschaft angeschlossen, die
selbst einer Wende bedarf."
Joachim Möller
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